Neben zwei neuen Werken für die atmende Dauerausstellung wurde dem Skulpturenpark im Jahr 2023 ein bleibendes Werk installiert, das aus dem ersten Residenzprogramm in Schwante hervorging. Nach zwölf Monaten, in denen die Dichterin und Künstlerin Anne Seubert je ein Wochenende auf dem Schlossgut Schwante verbracht hat, sind zwölf Gedichte für einen Jahreszyklus entstanden. Diese zwölf Gedichte wurden an einzelnen Findlingen installiert und über den öffentlichen Pfad rund um den Skulpturenpark Schwante verteilt: dem neu eröffneten Poetenweg.

Anne Seubert ist Autorin und Fotografin mit einer Schwäche für besondere Orte. Geboren 1979 im Dreiländereck Deutschland, Schweiz und Frankreich, lebt die studierte Kulturwissenschaftlerin nach Stationen in Frankfurt an der Oder, Hamburg und Portugal heute in Berlin. Ihre meist lyrischen Momentaufnahmen finden sich an öffentlichen Orten, wurden ins Portugiesische und Polnische übersetzt, waren zu Gast auf diversen (Lese-)Bühnen und wurden in verschiedenen Formaten in deutschen, polnischen und österreichischen Klein- und Kleinstverlagen verlegt. Seit 2001 publiziert sie bereits auf einer eigenen Webpräsenz www.wortlaute.de. 2021 war sie als erste Poetin in Residence zu Gast im Skulpturenpark Schlossgut Schwante.

  • 1 Ankunft

    Während der Schnee noch schläft,

    bereitest du die Landschaft vor, du kochst

    Kaffee, fütterst die Bäume und nimmst

    die Sonne an die lange Leine.

    Während der Schnee noch schläft,

    schüttelt mein Haupt den Regen ab, legt

    vorm ersten Wimpernschlag den Traum

    trocken, den Scheitel in die Mitte.

    Während der Schnee noch schläft,

    weckst du mich.

  • 2 Den Wind zu Gast

    Muschelhorn, sagst du,

    und ich Aurora Borealis

    Sodann

    nimmt ein Rauschen

    uns eben noch fremde Sirenen

    an die Hand, verführt uns,

    Freundschaft zu schließen

    mit einem Baum in der Nähe,

    der als erster, und seiner Sehnsucht

    Wurzeln verspricht.

  • 3 Out of Bed

    Morgens Frühstück

    mit Park im Rücken,

    als Grün unter den nackten Füßen,

    und im Haar als erste Blüten,

    die frisch geduscht

    versuchsweise auf Ästen

    austreiben:

    Frühling, als ob ihn keiner sieht!

  • 4 Die Partie

    Die Partie eröffnet der Stein,

    ein Würfelwurf ins Feld der Natur:

    Stein mein Name,

    groß und stark und grau und

    unbehauen bloß,

    ich behaupte mich im Feld,

    Adern durchziehen mich

    Meine Wunden aber

    hast du mir zugefügt,

    mich gespalten, Mensch,

    der du mich heute besuchen kommst.

  • 5 Im Moment

    Im Moment

    hält die Luft den Atem an,

    lehnt sich in dieses Wogen, das,

    ein Wagnis auch,

    ein Anlehnen möglich macht,

    und der Sonne den Weg weist.

    Im Moment

    notiert mein Auge das Sehnen,

    zählt bis drei, schmiegt sich in die

    stählerne Wärme, hält,

    was da asynchron in Bewegung, und

    den Tank unter Wasser hält.

    Samt Tiger.

  • 6 Dresscode Blüte

    Und dann ist plötzlich Sommer,

    der Tisch gedeckt,

    das Tor geöffnet, und du strahlst,

    den Schlüssel zum Schloss

    in der Hosentasche.

    Es soll Gäste geben,

    hast du dir gewünscht,

    das Silber poliert, und

    für die kommenden Tage

    den Dresscode „Blüte“ ausgegeben.

    Gut, dass das Grün mitzieht.

  • 7 Heute ist Kunst!

    Den Intellekt absetzen dürfen,

    der Eile ein verschwörerisches

    „Verweile doch“ zurufen und

    der Pflicht die Tür weisen:

    Heute ist Kunst!

    Morgen vielleicht auch noch,

    aber niemals so verwundbar

    wie das Heute,

    das trotzig die Fahne hisst:

    Ja, ich bin,

    vielleicht nicht schön,

    nicht schwach, aber da,

    und das auch dann,

    wenn du längst wieder!

  • 8 Ich möchte dir Mond sein

    Runde um Runde

    läuft die Zeit durch Kronen

    aus schwerem Absinth,

    Slalom und Abfahrt und,

    mit werdendem Abstand,

    Langlauf auf Loipen aus Moos.

    Ich möchte dir Mond sein,

    raunt die Sonne

    in die trägen Mittagsstunden,

    Übernimm‘ du das Ruder,

    stammauf- wie abwärts;

    Der nächste Morgen schläft aus.

  • 9 Ich öffne das Fenster

    Ich öffne das Fenster,

    dir, gleich einem Buch,

    einen Regen vorzulesen.

    Vom Himmel fällt Blatt für Blatt,

    was der Sommer erübrigte und du

    schätzt: mitreißender Lesestoff,

    Der Schnitt einer, der dir steht.

    Die Wunde eine, die du öffnest.

    Der Regen einer, der dich grüßt.

  • 10 Herbstens

    Herbstens

    tragen die Bäume schwer

    am Erbe eines ausführlichen Sommers.

    Herbstens

    kommt das Licht auf sanften Schwingen,

    schlägt der Frieden ein Rad,

    oder zwei.

    Herbstens

    findet das Glück den Weg

    von allein.

  • 11 Morgens wie Abends

    Morgens wie abends nimmt der Nebel

    dem Himmel seine Höhe,

    dem See seine Tiefe, macht dir

    das eben noch Fremde vertraut

    und alle Härte weicht

    einem Tasten.

    Als du der Stille gewahr werdend

    deine Stimme einpackst,

    alle Spaziergänge abbestellst,

    und deine Augen auf eine Bank

    im Park setzt, blüht um dich

    der Nebel auf, lädt den See

    zum Landgang, und das Ufer

    zum Niederknien.

  • 12 Landschaft zur Ader

    Wir hatten dem Schnee eine Stille

    um die Schultern gelegt, so als ob

    nichts gewesen wäre, und

    die Decke eine, die sich heben lässt,

    mit einem Wort oder Reim.

    Das Wetter wagte nicht zu atmen,

    als wir einen weiteren Jahreswechsel

    anberaumten und die Glaskugel

    in Frage stellten.

    Wir erwachten,

    als der Frühling die Landschaft zur Ader ließ,

    die Welt anrief

    und der Rost kalte Füße bekam

    Schlummern war gestern!

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2024: Viktor Jerofejew